GOLD FÜR KASIMIR REICH VOM HUMBOLDT-GYMNASIUM BEI DER INTERNATIONALEN BIOLOGIEOLYMPIADE 2022 IN JEREVAN, ARMENIEN
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Jerevan 1Das deutsche Nationalteam IBO 2022 (v.l. n.r.): Kasimir Reich, Pierre Naguib, Konrad Jannes Köhler und Martha Genzer
Quelle: https://www.ipn.uni-kiel.de/de/das-ipn/archiv/das-deutsche-nationalteam-fuer-die-internationale-biologieolympiade-2022-steht-fest

Gold für Kasimir Reich vom Humboldt-Gymnasium bei der Internationalen BiologieOlympiade 2022 in Jerevan, Armenien

Nachdem in den letzten beiden Jahren pandemiebedingt nur digitale IBO Challenges, organisiert von Japan und Portugal, stattfinden konnten, fand in diesem Jahr erstmals wieder eine Internationale BiologieOlympiade in Präsenz statt. Gastgeber Armenien hatte die Nationalteams von 63 Ländern für eine Woche in der Hauptstadt Jerevan versammelt, um mehr als 240 Schüler:Innen im fairen Wettstreit um Medaillen kämpfen zu lassen. Für das deutsche Nationalteam für die IBO 2022 hatten sich in vier Auswahlrunden aus fast 1400 Schüler:Innen qualifiziert: Kasimir Reich (Humboldt-Gymnasium Potsdam, Brandenburg), Konrad Jannes Köhler (Wilhelm-Ostwald-Gymnasium Leipzig, Sachsen), Martha Genzer (Gymnasium am Tannenberg Grevesmühlen, Mecklenburg-Vorpommern) und Pierre Naguib (Carl-Zeiss-Gymnasium Jena, Thüringen).

Die Internationale Biologie Olympiade in Jerewan (Armenien) – Ein persönlicher Bericht von Kasimir Reich

„Die Armenier haben die Menschen, aber die Armenier haben keinen Plan.“ – So resümierte einer unserer Betreuer am sehr frühen Montagmorgen des 18. Julis. Wir standen seit 1 Stunde in einer Schlange für unseren Flug. Es gab ein technisches Problem. Soweit nicht ungewöhnlich. Das Problem wurde angegangen. Es wurde angegangen und dazu bildete sich eine immer größere Traube von Menschen, Flughafenanstellten, um den Schalter, die dort standen und in die Luft schauten. Auch das mag vielleicht nicht so ungewöhnlich sein. Was man jedoch als ungewöhnlich bezeichnen könnte und diese Szene wie ein Fazit wirken ließ, war die Woche, die hinter uns lag.

Zwischen dem 10. und 18. Juli fand in Jerewan die Internationale Biologie Olympiade statt. Diese IBO ist ein jährlich in einem anderen Land stattfindender Wettbewerb bei dem sich die besten Nachwuchsbiolog:innen der Welt messen. Gefragt sind neben theoretischem Wissen über Lebewesen, ihre Bestandteile und Interaktionen auch praktische Fähigkeiten im Experimentieren. Jedes der über 70 Mitgliedsländer wählt dazu im Vorfeld maximal 4 Teilnehmende, die das Land bei der IBO repräsentieren. 2017 vertrat Jonas Vetter von unserer Schule Deutschland in England und gewann eine Silbermedaille. Dieses Jahr konnte ich mit dem deutschen Team nach Armenien reisen.

Unser Aufenthalt in Jerewan begann mitten in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli. Wir waren den ganzen Tag gereist und sehr müde. Begrüßt wurden wir direkt am Flughafen – mit dem Hinweis: „Also das haben irgendwie viele Ländern missverstanden, aber eigentlich haben wir das ja klar kommuniziert … also naja ... Sie können leider erst morgen um 14:00 in ihr Hotelzimmer. Aber die Sofas in der Hotellobby sind auch sehr bequem.“ Es sollte sich gelohnt haben im Flugzeug die Augen zuzumachen. Denn die Sofas waren zwar bequem, aber die Plätze äußerst begrenzt. Schließlich erhielten wir, dank des Großmuts einer Rezeptionistin, bereits um 9:00 ein Zimmer.

Jerevan 2Der weitere Verlauf des Sonntags ist als sehr positiv zu beschreiben. Wir lernten die anderen Teilnehmenden kennen und machten uns schnell international viele Freunde. Wir hatten nämlich in unseren Koffern etwa 8 Kilogramm HarIBO-Tüten mitgebracht. Während der Eröffnungszeremonie (auf die wir eine Stunde warteten) wurden wir mit Jubel begrüßt. Kurz darauf fiel ein wilder Mob über das Buffet her, unser erstes Essen an diesem Tag. Ein leicht chaotischer Anfang, doch Armenien sollte sich steigern.

Der Montag sollte uns das Ankommen ermöglichen. Wir hatten Zeit für Gespräche, warfen Blicke um uns am Klausurort und unternahmen eine kleine Exkursion in Jerewan. Dazu warteten wir eine Stunde in der Hotellobby, stiegen dann in Busse, warteten dort eine weitere halbe Stunde und fuhren dann 5 Minuten auf einen Hügel. Dort jedoch erwartete sie uns: Wie Freiheitsstatue von Jerewan, gegossen aus dem Stahl einer Stalin-Statue, stand sie zwischen russischen Panzer und einem sowjetischen Riesenrad: Mutter Armenien! Wir wurden unter ihr riesiges Schwert gesetzt und es wurde Fotos gemacht. Danach warteten wir einige Zeit und fuhren dann zurück ins Hotel.

Denn Dienstag würde der erste große Tag sein: Wir würden unsere praktischen Klausuren schreiben. Damit wir auch gut in Form wären, wurden wir gegen 11:00 noch einmal geweckt um ein „Light Dinner“ zu uns zu nehmen, das wir sehr dankbar annahmen und in den Kühlschrank stellten. Am nächsten Morgen klopfte es um 5:30. 6:30 standen wir in der Hotel-Lobby. In fünf Minuten würde es losgehen. In zehn Minuten würde es losgehen. In fünf Minuten würde es losgehen. Es würde jeden Moment losgehen. Zwei Stunden später wurde uns mitgeteilt, dass es ein kleineres Problem gab und es erst nach dem Mittagessen losgehen würde. Nach dem Mittagessen wurde die Klausur um einen Tag verschoben.

Erst später sollten wir erfahren, um was für ein Problem es sich handelte: Für eine IBO werden die Aufgaben zunächst auf Englisch erstellt. Dann werden diese von den Betreuern aus den Ländern in die jeweiligen Sprachen übersetzt. Schließlich müssen die fertigen Klausuren, insgesamt etwa eine halbe Tonne Papier, gedruckt werden. Dazu benötigt man Drucker. Diese hatten die Armenier gekauft. 10 Stück. HP-OfficeJet. Am Morgen des 12. begab sich ein armenischer Betreuer mit einem USB-Stick in einen lokalen Copy-Shop.

Doch nun zurück zu uns Teilnehmenden. Was sollte mit den Exkursionen in die armenischen Berge geschehen, die für den Mittwoch geplant waren? Sollte man sie einfach ausfallen lassen? Auf keinen Fall! Um 20:00 begann unsere Busfahrt zum Geghard Kloster. Im Geghard Kloster war es dunkel. Draußen bald auch. Der Garni-Tempel war eigentlich sehr schön. Mitten in der Nacht kamen wir im Hotel an und erhielten unser „Light Dinner“.

Der Mittwoch lief ab, wie der Dienstag geplant war. Wir standen um 5:30 auf und fuhren um 6:30 zum Klausurort. Hier ein paar Worte zum Inhalt der praktischen Klausuren: Zunächst musste ich mich mit vier Fischen beschäftigen und sie taxonomisch einordnen. Dann bestimmte ich fotometrisch die Aktivität eines Enzyms mit und ohne Inhibitoren, simulierten am Computer metabolische Netzwerke und mikroskopierte schließlich. Die Lösungen wurden jeweils auf einem computerlesbaren Lösungsbogen eingetragen. Dies würde später noch relevant werden. Insgesamt war dieser Tag sehr anstrengend und wir waren insgesamt acht Stunden beschäftigt.

Jerevan 3Einen ähnlichen Ablauf gab es am nächsten Tag mit einer kleinen morgendlichen Verzögerung von 2 Stunden, die ich mit einem Südafrikaner und einem Luxemburger damit verbrachte, eine riesige armenische Wespe mit einer Plastikflasche auf dem Vorplatz der Klausurhalle zu jagen. Sie wollte sich aber nicht bestimmen lassen. Die erste theoretische Klausur verlief ohne weitere Probleme. Die zweite jedoch wurde durch eine Reihe von Vorkommnissen gestört: Zunächst einmal entwickelte ich, wie zahlreiche andere Teilnehmende auch, Durchfall und Fieber. Zweitens stürzte das Testprogramm bei einigen Teilnehmenden (mich eingeschlossen) ab, wodurch alle bis dahin erarbeiteten Lösungen verloren gingen. Ich hatte meine zum Glück auf Papier mitgeschrieben. Es gab keine Extrazeit für dieses Problem. Drittens, und hier scheint es sich möglicherweise um ein Gerücht zu handeln, sollen bei einigen Teilnehmenden Werbeanzeigen aufgetaucht sein. Die Armenier verwendeten ein Gratisprogramm.

Doch nun war es endlich geschafft. Alle feierten oder krümmten sich vor Freude, sogar eine IBO-Flagge ließ alle Stricke reißen und segelte auf die Teilnehmenden hinab. Ich hatte gegen meinen Durchfall Medikamente dabei und nahm diese. Sie wirkten. Dies sagte ich auch meiner armenischen Betreuerin. Kurze Zeit später hielt ein Krankenwagen vor unserem Hotel. Zwei Ärztinnen und eine Dolmetscherin kamen in mein Zimmer. „Was sind deine Zeichen?“, wurde ich gefragt. Ich nannte meine Symptome und dass ich sie behandelt hätte. Die Dolmetscherin übersetzte etwas. Daraufhin begann die eine Ärztin eine Spritze aufzuziehen und die Dolmetscherin deutete mir an, dass ich mich ausziehen habe. Ich weigerte mich. Dies führte zu einem mittelschweren kulturellen Missverständnis, in dessen Folge mich der Sicherheitsdienst in mein Zimmer bringen sollte. Erst spät abends gelang es meinem Betreuer die Armenier zu beruhigen, dass ich keineswegs Corona oder etwas gegen ihr Land hätte.

Am nächsten Tag ging es mir schon deutlich besser. Wir besuchten die Ruinen der Festung Erebuni, den ältesten Überresten Jerewans, die sogar noch 30 Jahre älter als die Roms sind. Wir fanden eine interessante Ameise. Danach ging es zum Institut für alte Schriften. Dort hörten wir die Geschichte, wie zwei Frauen während des Völkermords an den Armeniern, einen der wichtigsten und schwersten Pergamente durch die Wüste in Sicherheit trugen. Außerdem erhielten wir einen Vortrag über Buchschädlingsbekämpfung. Dieser Tag war wirklich schön und am Abend konnten wir sogar in einer kleineren Gruppe auf dem Platz der Republik einer Wassershow beiwohnen.

Samstag wurde jedoch noch besser. Der Morgen fing noch eher mittelmäßig mit einer Poster-Session an, bei der sich die meisten Teilnehmenden nach kurzer Zeit langweilten und sich über anderes zu unterhalten begannen. So überhörte sich eine Diskussion über die satanistische Bibel und darüber, welche Form von Satanismus wohl die beste wäre. Unsere Betreuerin fragte uns zudem, wie wir eigentlich die armenischen Mädchen finden würden – besser oder schlechter als die deutschen. Sie akzeptierte unsere Antwort. Wir fragten sie, wie denn die armenischen Männer wären und erfuhren, dass sie alle perfekt sind: Sie halten Frauen immer die Tür auf.

Am Abend sollten wir in einen Freizeitpark fahren. Darauf hatten ich und einige Norweger jedoch keine Lust. Wir wollten lieber mal wirklich Jerewan sehen. Deshalb hatten wir einen akuten Rückfall zu unserem Durchfall und mussten leider im Hotel bleiben. Es hat sich gelohnt. Jerewan ist eine wunderschöne Stadt, wenn abends die Temperaturen von tagsüber 40°C langsam sinken und man den Berg Ararat über der Stadt liegen sieht. Besonders schön sind die Kaskaden, ein Viertel um eine riesige Treppe aus sowjetischen Zeiten, die nun ein Zentrum für Kunst geworden ist. Von hier aus lässt sich der Sonnenuntergang ausgezeichnet beobachten. Außerdem gibt es zahlreiche Restaurants, die ausgezeichnetes Essen aus allen Ecken der Welt bieten.

Am nächsten Tag kannten wir zudem einen Geheimtrick. Statt in der prallen Sonne die Treppe zu erklimmen, kann man auch einfach die Rolltreppe im klimatisierten Innenraum nebenan nehmen. Heute würde die IBO zu Ende gehen, leider. Denn trotz allem was schiefgegangen war, oder vielleicht gerade deshalb, waren wir uns als Teilnehmende sehr nahegekommen. Neben Gesprächen gab es zum Beispiel auch folgende Begebenheit: Nachdem ich und Joo Chan ein Team beim Uno gebildet hatten, stellten wir beide fest, dass wir uns nur schlecht Namen merken könnten und den des anderes bestimmt sofort wieder vergessen würden. Als wir uns das nächste Mal trafen stellten wir jedoch fest, „Joo Chan?“ „Joo Chan!“ „Kasimir?“ „Kasimir!“, dass wir sie noch nicht vergessen hätten und auch beim nächsten Mal auf dem Gang war es noch nicht so weit. So stellte sich eine gewisse Gewohnheit ein und ich bin mir sicher: Wenn wir uns irgendwann mal wieder über den Weg laufen sollten, dann würde unser Gespräch mit den Worten beginnen: „Kasimir?“ „Kasimir!“ „Joo Chan?“ „Joo Chan!“

Jerevan 4Am Sonntag ging so also die Internationale Biologie Olympiade zu Ende. Doch natürlich sollte es noch eine Medaillenvergabe geben! Diese sorgte hinter den Kulissen für etwas Wirbel. Denn die Armenier hatten geplant, die Ankreuzklausuren durch einen Computer auswerten zu lassen. Leider zeigte dieses Gratisprogramm einige kleinere Ungenauigkeiten. Als unsere Betreuer unsere Ergebnisse erhielten, hatte ich beispielsweise eine der schlechtesten Klausuren in Botanik. Mein Betreuer verglich nun meine Lösungen mit denen der Musterlösung und fand insgesamt 60 Punkte, die das Programm „vergessen“ hatte. Nun stellte er sich bei den Aufgabenstellenden an. Nach wenigen Stunden Wartezeit konnte er mit ihnen diskutieren. Sie versprachen den Fehler zu korrigieren. Einen Tag später war nichts geschehen und er musste sich erneut anstellen. Die Ergebnisse wurden während der Abschlusszeremonie auf einem Stück Papier in den Saal der Staatsoper getragen. Doch nun war zumindest das Ende gerettet. Das deutsche Team erhielt drei Silbermedaillen und eine Goldmedaille. Grund zum Feiern also … bis kling klong … die ersten Medaillen von den Bändern fielen. Naja, ein Knoten tuts auch.

Und so bleiben viele Erinnerungen von chaotischer Organisation und sympathischen Menschen. Neben den Teilnehmern und den freundlichen armenischen Gastgebern, möchte ich vor allem auch den deutschen und schweizer Betreuern danken, die unsere Klausuren übersetzt und später unsere Lösungen verteidigt haben und dabei fast ihr gesamtes Freizeit- und Kulturprogramm geopfert haben. Außerdem möchte ich ihnen besonders für die ganz andere und hervorragende Organisation des Trainingslagers in Bern bedanken. Dort bereiteten wir uns zusammen mit den schweizer und lichtensteiner Teams vor, lernten einander schon mal kennen und hatten viel Spaß beim Sezieren, Grillen und beim Schwimmen in der Aare.

Kasimir Reich

 

 

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